Einführung induktives Bibelstudium: Teil von M. Deborah Chang von der FBK ’12
2. M. Deborah Chang – Beobachtung
Dr. Louis Agassiz’ Lehrmethodik
Louis Agassiz (1807-1873) war ein bedeutender Schweizer Naturwissenschaftler und 1848 wurde er als Professor an die Harvard Universität berufen und zog in den USA. Agassiz war berühmt für seine innovative Arbeitsweise, vor allem was die Ausbildung seiner „Lehrlinge“ betraf.
Scudder kam zu Agassiz, um Zoologie mit dem Schwerpunkt Insektenkunde zu studieren. Agassiz antwortete: „Nehmen Sie diesen Fisch und schauen Sie ihn an. Wir bezeichnen ihn als Haemulon. Nach und nach werde ich Sie über Ihre Beobachtungen befragen“. Scudder meinte nach zehn Minuten, dass er fertig sei, konnte aber Agassiz stundenlang nicht finden und war dadurch gezwungen, das Exemplar weiter zu betrachten. Aus Langweile entschied er sich dafür, die Probe zu zeichnen und bemerkte, dass er dadurch weitere Details wahrnahm.
Agassiz’ Kommentar war daraufhin: „Das stimmt. Der Bleistift ist eines der besten Augen“. Scudder präsentierte seine Beobachtungen Agassiz und bekam die gleiche Aufgabe nochmals gestellt, weil er Agassiz’ Meinung nach, viele Einzelheiten übersehen hatte. Am Abend sagte Agassiz, dass er Scudder am nächsten Morgen prüfen würde und zwang ihn dadurch, seine Wahrnehmungen zu überdenken, ohne dabei nochmals einen Blick auf das Exemplar werfen zu können. Am nächsten Tag erwähnte Scudder erstmals die von Agassiz als wichtig erachtete Symmetrie und bekam abermals die Aufgabe, das gleiche Exemplar ohne Werkzeuge zu bearbeiten. Dies wiederholte sich drei Tage lang. „Schauen Sie, schauen Sie, schauen Sie“ war Agassiz’ wiederholter Auftrag.
Dieser Aufgabe schloss sich das Studium eines zweiten Fisches an, damit Scudder lernte, sich auf Unterschiede und Ähnlichkeiten zu konzentrieren. Weitere Exemplare folgen und vervollständigen die gesammelte Haemulon-Familie. Insgesamt hat Scudder acht Monate lang Fische studiert, bevor er mit dem Studium der Insekten anfing.
Agassiz lehrte induktiv. Dies bedeutet, dass zunächst von einem einzelnen Exemplar ausgegangen wurde. Durch die Bearbeitung weiterer ähnlicher Beispiele, konnte Scudder Ähnlichkeiten und Unterschiede erfassen und die Grundlage des ganzen Studiums legen.
Warum erzähle ich diese Geschichte, weil Beobachtung die Grundlage des Bibelstudiums ist.
Wir müssen uns selbst diszipliniert trainieren den Bibeltext genau zu lesen.
Wie gut ist deine Beobachtungsfähigkeit?
1. Denke an jemanden, mit dem du zusammenlebst oder mit dem du eng zusammenarbeitest. Beschreibe im Detail, was diese Person getragen hat, als du sie das letzte Mal gesehen hast.
2. Beschreibe die Farbe der 5-, 10-, 20-, und 50- Euro-Scheine.
3. 1- und 2- Euro Münze bestehen aus Silber und Kupfer. Welche ist inneren und welche ist außen?
4. Was haben wir gestern für Abendessen gesessen?
5. Was war die Krawatten-Farbe von H. Christoph?
A. Beobachtung: Was sehe ich?
Auf dieser Stufe werden wir uns folgende Frage beantworten: „Was sehe ich?“ „Was sind die Fakten?“ Wir nehmen die Rolle eines Bibeldetektivs ein, der nach Hinweisen sucht. Keine Einzelheit ist unbedeutend.
1. Beten
Aber bevor wir mit der ersten Schritt beginnen, müssen wir zuerst unser Herz durch Gebet vorbereiten, z. B. mit Psalm 119,18: „Öffne mir die Augen, das ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.“ Der Psalmist bat um die Gabe der Beobachtung. Er bat Gott darum, die Binden von seinen Augen wegzureißen, damit er Einsicht bekam in die Wahrheiten, die Gott offenbart hat.
2. Lesen
Lies mehrmals!
Was sagt der Text? Beachte die Fakten sorgfältig, sodass du erkennst, was das Wort tatsächlich aussagt.
Stelle die sechs „W-Fragen”
Gewöhne dir an, beim Lesen des Bibeltextes Fragen zu stellen: Wer? Was? Wann? Wo? Warum? Wie? Diese Fragen sind die
Bausteine für eine präzise Beobachtung, die das Fundament für eine korrekte Interpretation bildet.
Hier müssen wir vier Dinge achtgeben.
1. Schlüsselwörter „erschließen” die Bedeutung des Textes und sind für seine Aussage entscheidend. Oft verwendet der Autor bestimmte Schlüsselwörter wiederholt, um seine Botschaft klar und deutlich zu vermitteln. Würde man ein Schlüsselwort weglassen, so würde der Text seine Bedeutung verlieren. In 1. Petrus 5 kommt beispielsweise dreimal das Wort Leiden (leiden, gelitten) vor.
2. Struktur
Die Bibel ist eine ganze Bibliothek von sorgfältig erarbeiteten Büchern, die für solche, die die danach suchen, zwei grundlegende Strukturen aufweisen.
a. Grammatikstruktur: Welches ist das Subjekt des Satzes? Welches das Objekst? Welches ist das Hauptzeitwort?
b. Literarische Struktur: z. B. Es gibt Fragen und Antworten. Es gibt einen Höhepunkt und seine Auflösung. Es gibt Ursache und Wirkung.
3. Literarische Form
Es gibt Allegorien und Liebepoesie, Satirisches und Apokalyptisches, Komödien und Tragödien und noch vieles mehr. Alle diese Formen verwendet der Heilige Geist, um seine Botschaft zu übermitteln. Wenn wir seine Botschaft verstehen möchten, müssen wir jede spezielle Art der biblischen Literatur nach ihren eigenen „Regeln“ lesen.
Es gibt doch einen gewaltigen Unterschied zwischen der Poesie des Hebräerbriefs oder der Psalmen und den detailliert argumentierenden Briefen des Paulus, zwischen der großartigen und lebendigen Schilderung der beiden ersten Mosebücher und den einfachen, aber treffenden Erzählungen der Gleichnisse.
4. Stimmung
Was spürst du, wenn du dich in die Lage des Autors versetzt? z.B. Paulus sagt in Philipper 4,4 „Freut euch im Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!” Aber wo war er? In Maritim? Er befand sich in einem übelriechenden, römischen Gefängnis.
3D-Perspektive
Wir dürfen ruhig alle unsere Sinne mit in den Text hineinnehmen. Wenn wir den Brief an die Epheser studieren, dann versetzen wir uns einmal in die Gemeinde zu Ephesus, und hören Paulus zu.
Strategie für effektives Lesen/Beobachtung
Lies wissbegierig
Wenn du die Bibel aufschlägst, musst du anfangen zu denken. Die Bibel teilt ihre Früchte nicht an Faule aus. Sprüche 2,4-5 sagen: „wenn du sie suchst wie Silber und nach ihr forschst wie nach Schätzen: dann wirst du die Furcht des HERRN verstehen und die Erkenntnis Gottes finden.“
Biblische Weisheit wird dort mit kostbarem Erz verglichen, das man nicht an der Oberfläche findet, sondern nach dem man tief graben muss. Wir sind in der Lage, unser Leben zu verändern. Aber wir müssen danach graben.
Lies mehrmals
Lies immer und immer wieder, nicht ein- oder zweimal, sondern wenn nötig auch hundertmal, wenn du Einblick in die Tiefe bekommen willst. Du wirst immer wieder neue Dinge entdecken, die vorher noch niemals aufgegangen sind.
Lies verschiedene weise
Lies die Bibel in verschiedenen Übersetzungen
Wenn wir uns an eine Übersetzung gewöhnt haben, sollen wir es einmal mit einer anderen versuchen. Wir werden sicherlich wieder Neues entdecken.
z. B Sprüche 12,1 nach Luther 1984 Übersetzung ist „Wer Zucht liebt, der wird klug; aber wer Zurechtweisung hasst, der bleibt dumm.“
Nach gute Nachricht Übersetzung lautet, „Wer dazulernen möchte, lässt sich gern sagen, was er falsch macht. Wer es hasst, auf Fehler hingewiesen zu werden, ist dumm.“
Lies nachsinnend und betend
Bibellesen ist kein Schnappschuss, sondern eine Langzeitaufnahme. Wir können nicht im Eiltempo heilig werden. Aber wir leben in einer „Sofort“ Gesellschaft. Die Schrift, Gottes Wort spricht so oft vom Nachsinnen. Psalm 1,2 sagt deutlich: sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht! Beobachtung ist keine Übung, die wir in ein paar Minuten erledigen und von unserer Liste streichen können. Es ist eine geistige Disziplin, die wir durch den ganzen Tag hindurch beibehalten. (Dr. Agassiz hat 8-Monate lang nur Beobachtung gelehrt!)
Gebet ist besonders wichtig, wenn wir beim Bibelstudium an eine Stelle geraten, wo wir hängenbleiben und durcheinanderkommen. Trotzdem kämpfen wir meistens sehr mit uns. Wir sollen während und nach dem Lesen der Schrift zu Gott kommen und beten.
Lies teleskopisch
Telekopisch lesen bedeutet, die einzelnen Teile im Lichte des Ganzen zu betrachten.
1. Achte auf Verknüpfungen und Zusammenhang
2. Werte eine Stelle im Licht des ganzen Buches aus
3. Achte auf den geschichtlichen Zusammenhang des Buches
Fünf Dinge, auf die man achten sollte
Dinge…
1. Die betont sind
2. Die wiederholt sind
3. Die verbunden sind
4. Die ähnlich oder verschieden sind
Achte auf Gegensätze und Vergleiche
Gegensätze und Vergleiche verwenden bildhafte Ausdrücke, die es dem Leser erleichtern, sich den Text zu merken. In 1. Petrus 5,8 beispielsweise sagt Petrus: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe.“
Markiere Zeitangaben
Zeitangaben geben Aufschluss über den Zeitpunkt oder die zeitliche Abfolge bestimmter Ereignisse und leisten auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zum Verständnis und zur korrekten Interpretation des Textes.
Bestimme die Kapitelthemen
Das Thema eines Kapitels ist eine möglichst kurze zusammenfassende Aussage über die im Text erwähnten Personen, Ereignisse, Lehren oder Botschaften. Das Kapitelthema lässt sich anhand der Schlüsselwörter und Listen bestimmen und
soll nach Möglichkeit Wörter aus dem Bibeltext enthalten.
Beobachtung führt zum zweiten Schritt, zur Auslegung.